Review Hurricane Home Edition 2020 | Sunset Music

Review: Hurricane Home Edition 2020

Sommer 2020 – In den Herzen der Festivalliebhaber herrscht ein großes Loch. War der Juni doch der Monat, in dem Festivals wie Rock am Ring, Southside und das Hurricane den die Saison eröffnen sollten. Trotz Corona-Maßnahmen haben sich die Veranstalter des Hurricane etwas einfallen lassen, um in Kooperation mit dem NDR ein wenig Festivalstimmung in die Wohnzimmer der Republik zu bringen: Unter dem Motto „Kultur trotz Corona“ übertrug der NDR das ganze Wochenende lang Aufnahmen von Konzerten verschiedener Festivals. Kleine Livekonzerte und bekannte Festivalgrößen waren auch vor Ort mit dabei.

Festival Zuhause

Freitag der 20. Juni. Diesen Tag, wohl besser die gesamte Woche, hatten sich die Fans des Hurricane Festivals dick im Kalender markiert. Als im Frühjahr die Meldung kam, dass alle Großveranstaltungen abgesagt werden müssen, war dies für viele ein Schock. Doch die Veranstalter von FKP Scorpio haben in Zusammenarbeit mit dem NDR auf der Rennbahn „Eichenring“ bei Scheeßel in Niedersachsen – der Ort des Geschehens – ein kleines Ersatzprogramm auf die Beine gestellt. Seit 1997 findet das Hurricane mit seinen mehr als 70.000 Besuchern zum ersten mal digital statt. Zu sehen ist dort normalerweise eine Mischung aus Rock, Indie, Alternative, Pop, aber auch Rap und Elektro sind vertreten. Auch in diesem Jahr wurde den Zuschauern zuhause eine breite Menge an internationalen Künstlern geboten und das 3 Tage am Stück. Aber wie kann man sich so ein digitales Festival nun vorstellen?

Livemusik fürs Wohnzimmer

Die Hauptattraktion der Sendung waren die Aufzeichnungen der Liveauftritte auf dem Hurricane Festival der letzten Jahre. Dabei waren unter anderen Billy Talent, Kraftklub, Alice Merton, Bilderbuch, The Cure und viele mehr. Über den Tag verteilt konnte man sich also wie beim richtigen Festival die Bands anschauen, ein kühles Getränk genießen, essen und dabei aber auf der Couch entspannen. Die Fans wurden in der Sendung dazu aufgefordert, über Social Media ihre Momente des digitalen Festivals zu teilen. So kamen viele Bilder zustande, auf denen Menschen zuhause Bierpong, Looping Louie und Flunkyball in ihren Wohnzimmern spielten, dazu Dosenbier tranken und in Campingstühlen vorm Fernseher saßen.

Hurricane in klein

Jedoch wurden nicht einfach nur alte Aufnahmen abgespielt, sondern es gab zusätzlich eine Moderation durch die anwesenden Gäste auf dem Festival-Gelände in Scheeßel. Direkt auf der Rennbahn, wo sonst die großen Bühnen stehen, wurde ein kleines Camp mit Camping-Stühlen und -Tischen, einem Planschbecken und Bussen aufgebaut. Bei den Requisiten wurde sich wirklich Mühe gegeben, denn es wirkte wie ein gemütliches Zeltlager. Die Moderation übernahm der bekannte Entertainer Elton, der die Jahre zuvor auch schon auf der Hurricane-Bühne zu sehen war. Er überließ jedoch den Gästen den Großteil der Redezeit. Zuerst kam der Veranstalter von FKP Scorpio Stephan Thanscheidt an die Reihe und beschrieb die schwere Situation, in der sich alle Live-Veranstalter zurzeit befinden, gab aber auch Hoffnung aufs nächste Jahr:

„Wir waren die ersten im Live-bereich, die lahmgelegt waren mit vielen anderen und wir werden die letzten sein, die irgendwann wieder zurückkommen, um Live-Events in irgendeiner Form zu bieten, abgesehen von Autokinos und der gleichen mal abgesehen. Das wird viel Kreativität und Teamgeist erfordern. Wir versuchen etwas cooles auf die Beine zu stellen, damit die Leute nächstes Jahr wiederkommen. Bis jetzt haben schon 80% der Bands von 2020 für 2021 bestätigt.“

Zitat Stephan Thanscheidt

In Abwechslung mit den aufgezeichneten Auftritten kamen die Gäste der kleinen Talk-Runde zu Wort. Besonders auffällig war der MC der Band Deichkind, Sebastian Dürre, kurz „Porky“ genannt. Er saß in einem gelben Seuchenschutzanzug neben Elton und betonte, wie wichtig ihm der Schutz der anderen sei. Mit diesem zwar scherzhaften Auftritt ließ er die Sicherheitsmaßnahmen wegen Corona lächerlich wirken, was der Sendung einen unangenehmen Touch gab.

Frauen auf der Bühne

Doch glücklicherweise sollte das Thema Corona nicht im Mittelpunkt dieser Sendung stehen. Jennifer Bender, Sängerin der Band Grossstadtgeflüster sprach das Thema „Frauen auf der Bühne“ an und machte sich für mehr weibliche Acts auf Festivals stark. Der Veranstalter bestätigte, dass das Hurricane sehr wohl auf eine gute Balance achte. Axel Bosse pflichtete diesem Diskurs sofort bei und forderte sogar eine 50/50 Frauenquote auf Bühnen. Damit hatte diese Sendung die Stufe einer herkömmlichen LateNight-Talkshow als Beilage für Videobeiträge überschritten und stellte einen eigenen Mehrwert für die Zuschauer dar. Von da an bekam erreichte die Sendung eine eigenständige Authentizität, da die Gäste der Sendung es schafften, den Dialog und den gegenseitigen Austausch interessant zu gestalten. Damit hatte die Sendung endlich den Kernbestandteil der Festivalkultur übermittelt.

Künstler plaudern aus dem Nähkästchen

Daran schloss das Gespräch von Jakob (Frontsänger der Leoniden) und Bosse über den Kindheitstraum, einmal auf der Bühne zu stehen an. Trotz der harten Arbeit und der jahrelangen Durststrecken, treibt die Leidenschaft zur Musik die Künstler immer wieder an. Das gemeinsame Schwelgen in Erinnerungen an Gänsehautmomente hauchten der Sendung mehr Leben ein. Und das obwohl man den Gästen ihren Schwermut über die aktuelle Lage durchaus anmerkte. Trotz der erschwerten Situation bekam der Zuschauer dann doch noch Live-Auftritte der anwesenden Gäste zu sehen, die auf kleinen Bühnen-Inseln performten.

Fazit

Alles in allem wurde ein stimmiges Gesamtkonstrukt aus Live-Auftritten und Talk-Show erzeugt. Das Interviewformat der Sendung à la VIVA hatte fast schon einen nostalgischen Touch. Dabei haben sich die Veranstalter viel Mühe zum Detail gegeben, z.B. indem man extra Holzhalterungen für Bierflaschen baute, damit die Gäste aus sicherem Abstand anstoßen konnten. Schlussendlich stellt sich die Frage: Kann eine Fernsehsendung ein Festival ersetzen? Die Antwort lautet: Nein, kann sie nicht. Aber anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, wurde sich viel Mühe gegeben, um den Menschen ein bisschen Festivalgefühl nachhause zu bringen. Die Kombination aus der liebevoll gestalteten Location, Livemusik, Camp-Feeling und das Plaudern aus dem Nähkästchen ließen das Festivalliebhaberherz für ein Wochenende höher schlagen.

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